Sonntag, 1. Juni 2008

Tagine

ESSAOUIRA BLOG #2 UNZENSIERT UND UNVERSCHLÜSSELT

Ein Lobgesang auf die Tagine

Wie soll ich beginnen von der Tagine zu erzählen? Sie ist sicher sehr alt und vermutlich hier in Marokko erfunden worden. Die Tagine ist ein Teekesselchen. Das Wort hat also zwei Bedeutungen. Ein Teekesselchen ist ein Gericht zum Essen . Das andere Teekesselchen ist das Kochgerät, in dem Tagines zubereitet werden. Um uns dem Sujet ganz plump anzunähern, dümmer geht’s nicht, hier ein Bild:




So what? Langsam. Zunächst will ich die physikalischen Eigenschaften der Tagine erklären. Tagines gibt es in allen Grössen. Meine Tagine hier ist eine Single-Tagine, passt genau die Menge für eine Person hinein. Die Tagine wird aus schwerem, innen glasiertem Ton hergestellt. Sie besteht aus 2 Teilen. Der Boden ist fast 2 Fingerbreit dick. Deshalb wird auch bei Zufuhr von sehr viel Hitze, das Öl, mit dem das Kochen immer beginnt, erst nach 5 Minuten heiss. Am ehesten kann man sie mit dem Römertopf aus unserem Kulturkreis vergleichen.

Der Durchmesser meiner Tagine entspricht dem eines Tellers, die Garfläche ist sogar noch kleiner, wie ein kleiner Teller. Denn am Rand ist ein 2 cm hoher Wulst, der die Umrandung bildet. Der Deckel ist kegelförmig, dünnwandiger und innen unglasiert. Auf 2/3 seiner Höhe ist im Deckel ein Streichholzkopfgrosses Loch, durch das der Dampf abziehen kann. An der Spitze des Kegels ist der Deckel zu einem abgeplattetem Knopf aus porös aufgerauhtem, nicht glasiertem Ton ausgeformt. Dieser massive Knopf wird beim Kochen nie heiss, nicht einmal richtig warm, so dass man ihn während des Kochens immer abnehmen kann, ohne sich die Finger zu verbrennen. Das ist funktionales Design! Ein einziger Werkstoff, keine Verbindungen, nur durchdachte Form. Jede Tagine ist anders bemalt und glasiert, der Ton kann Hellgelb, Rot oder Dunkelbraun sein.

Auf dem Gasherd wird der Topf auf eine Eisenplatte gestellt, die über der Flamme liegt, denn der Ton verträgt keine zu starke Hitze.

Wie schon gesagt, das Kochen beginnt mit dem heissen Öl, in das als erstes das Grundthema hineinkommt. Denn Tagines sind eine Familie von vielen verschiedenen Gerichten. Es gibt Lamm-, Rind-, Huhn-, vegetarische-, Meeresfrüchte-, und Fischtagines. Vom Grundthema, nehmen wir heute mal Lamm, wird nur sehr sparsam genommen. Höchstens 150 g Fleisch oder Fisch, eher weniger. Fleisch und Fisch sind im Gegensatz zu Gemüse für Einheimische recht teuer, die Preise entsprechen fast den deutschen Verhältnissen, die Qualität ist natürlich eine andere. Nach dem Anbraten des gewürfelten Lammfleisches kommen die Gewürze hinein: Paprika, klein gehackter Ingwer, Safran(1 Messerspitze), Kreuzkümmel, Knoblauch, und ich mag Fenugrek(Bockskleesamen) besonders gern. Um das Fleisch ganz weich zu bekommen, lasse ich es bei mittlerer Hitze zusammen mit 100 ml Wasser 40 Minuten vor sich hin garen.

Jetzt kommt der Turmbau zu Babel, der Clou des Ganzen. Man türmt jetzt auf das Fleisch gehackte Tomaten, gehackte Zwiebeln, Karottenrechtecke und gehackten Koriander auf. Wenn man es richtig macht, formt man nach und nach einen Kegel, der den Rand gerade so berührt. Die aüsserte und letzte Schicht bilden Kartoffelschindeln, die das Dach des Kegels bilden. Auf die Spitze kommt als Abschluss eine grosse, runde Kartoffelscheibe. Und jetzt den Deckel drauf und Hitze. Die Tomaten sondern viel Flüssigkeit ab und nach 6-8 Minuten beginnt aus dem Loch im Deckel ein Dampffaden abzuziehen. Die Hitze wird jetzt so reguliert, das der Faden nicht zu kräftig und nicht zu dünn ist. In der Tagine schmort das Fleisch weiter, das Gemüse aber wird nur vom aufsteigenden Dampf gegart. Nach weiteren 20 Minuten ist das Gericht fertig.

Traditionell wird die Tagine vor dem Haus im Hof oder auf der Strasse gekocht. Denn viele Frauen verwenden noch die billige Steinkohle als Brennstoff in einem kleinen Dreifussgefäss, auf das die Tagine gestellt wird. Eine Handvoll Kohle reicht für die gesamte Garzeit von 80 Minuten. Ich habe so einen Dreifuss hier und ich werde mir Kohle besorgen und es einmal traditionell auf dem Dach des Apartments zubereiten.

Anbrennen kann in der Tagine nichts, es sei denn man vertut sich arg mit der Hitze. Habe ich schon einmal geschafft und der Erfolg war eine dicke schwarze Kruste am Boden und am Rand der Tagine. Kein Problem. Die Glasur ist so robust, dass mit einem Metallfliess alles weggekratzt werden kann, ohne dass irgendwelche Schmutz- oder Kratzspuren zurückbleiben.

Die Taine wird jetzt zum Tisch gebracht und auf einen Bastuntersetzer gestellt und ... der Deckel gelüftet. Dramatisch entweicht der Dampf und der Gast sieht sein heisses und dampfendes Gericht vor sich. Selbst in guten Restaurants in Deutschland wird einem eine solche Enthüllung nur selten geboten. Nur in Österreich gibt es oft noch diese silbernen gewölbten Deckel, die das Gericht zunächst vor den Augen des Gourmets verbergen, um es dann effektvoll zu enthüllen. Das ist Esskultur. Als letztes noch ein Vorteil der Tagine. Sie ist Kochgerät und Teller in einem. Weniger Abwasch. Wird sie nicht benützt, ist sie ein schöner Schmuck in der Küche und ich benütze sie dann als Brotbehälter. Zu den Rezepten für andere Tagines, z.B. mit Oliven, eingelegten und gewürzten Zitronen oder Tagine mit Aprikosen oder Datteln vielleicht ein andermal(bei Interesse). Ach ja und der Preis: 3,50 Euro kostete meine Single-Tagine.

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